Nach rund 19 Monaten Bauzeit ist der Rohbau eines der derzeit größten Institutsbauvorhaben des Landes, der Ersatzbau des Interfakultären Instituts für Biochemie (IFIB) auf der Tübinger Morgenstelle, abgeschlossen. Gemeinsam mit Handwerkern und Architekten konnten Vertreter von Landesbehörden und der Universität daher am Montag das Richtfest feiern.
Das IFIB ist ein weiterer Meilenstein in der Realisierung des Konzepts „Campus der Zukunft“, welches die Universität seit 2008 entwickelt hat. Dieses Konzept erlaubt es, die Universitätseinrichtungen straffer zu organisieren und damit im nationalen und internationalen Wettbewerb erfolgreich zu bleiben. Darüber hinaus soll es den Sanierungsstau in Gebäuden der Universität beseitigen.
Der Strukturplanung des „Campus der Zukunft“ folgten konkrete Prioritätenlisten für die bauliche Umsetzung. Die biochemische Grundlagenforschung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer hochkomplexen life-science entwickelt. Die unterschiedlichen Forschungsschwerpunkte werden an der Universität Tübingen im „Interfakultären Institut für Biochemie“ zusammengeführt.
Das über 50 Jahre alte Bestandsgebäude auf dem Schnarrenberg wird den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht. Eine Sanierung als Laborgebäude ist wirtschaftlich nicht vertretbar.
Die Unterbringung der Biochemiker in einem Forschungsneubau in direkter Anbindung an das Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP) schafft nicht nur die realistische Basis für ein funktionierendes Gesamtnetzwerk, sondern fördert vor allem die intensive wissenschaftliche Kommunikation zwischen den Forschungsgruppen und verbessert wesentlich die methodisch-technologische Infrastruktur der zentralen Bereiche.
Mit der Standortwahl für das neue Forschungszentrum auf der Morgenstelle ist beabsichtigt, die Vorteile der Lage in einem hochwissenschaftlich orientierten Institutsgebiet auszuschöpfen. Dieser Standort führt durch das Vorhandensein von Hörsälen, Seminarräumen und Werkstätten im zentralen Bereich der Morgenstelle zu erheblichen Einsparungen in den Raumprogrammen des IFIB. Weitere Synergieeffekte entstehen durch die gemeinsame Nutzung sehr hochwertiger Flächen durch die Biochemiker des IFIB und die Molekularbiologen des ZMBP. Dazu gehören etwa die Mikroskopie oder auch die Infrastruktur von Fotolaboren, Gaslager und Werkstätten. Der Neubau als zweiter Bauabschnitt des ZMBP schließt die östliche Raumkante des neuen Campusplatzes und ist damit ein weiterer Baustein der städte-baulichen Gesamtkonzeption „Morgenstelle“.
Die planerische Grundidee des Neubaus folgt der Erkenntnis, dass die Institutshochhäuser nur in völlig entleertem Zustand und nicht in Abschnitten saniert werden können. Deshalb wurden für die neuen Institutsgebäude eine geringere Geschosszahl und vor allem eine stärkere funktionale Trennung von Labor-, Büro- und Studierbereichen entwickelt. Daraus resultiert die flächige Bauweise, zu deren Belichtung und Verknüpfung die eingeschnittenen Atrien dienen. Nachhaltigkeit bedeutet auch die Planung der Sanierbarkeit nach einem ersten Nutzungszyklus.
Dieses Prinzip wurde beim ZMBP von den Architektinnen und Architekten des Amtes Tübingen zuerst erprobt und dann für den Ersatzbau des Interfakultären Instituts für Biochemie im Rahmen der Entwurfsplanung fortgeführt.
Nachdem parallel zur Planung auch die Finanzierung gesichert werden konnte, erfolgte der Baubeginn Mitte Januar 2016. Am 27. Oktober 2016 wurde der Grundstein gelegt und am 31. Juli 2017 erfolgt nun das Richtfest zum Zeichen der Dankbarkeit der Bauherrschaft gegenüber den Handwerkern, die diesen Rohbau errichtet haben.
Das Amt Tübingen geht davon aus, dass die Universität zum Wintersemester 2019/20 die neuen Räume beziehen kann.
Im Ersatzbau des Interfakultären Instituts für Biochemie (IFIB) werden rund 4.900 qm Hauptnutzfläche zur Verfügung gestellt.
Einige wesentliche Daten:
Objekt:
Ersatzbau Interfakultäres Institut für Biochemie (IFIB) der Universität Tübingen
Bauherr:
Land Baden-Württemberg, Ministerium für Finanzen, vertreten durch den Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Tübingen
Die minoische und die später einsetzende mykenische Kultur der Bronzezeit in der Ägäis waren im dritten und zweiten vorchristlichen Jahrtausend Europas erste Schriftkulturen und gingen über in das klassische Griechenland. Kulturelle Innovationen wie die Schrift, ausgedehnte Palastbauten und die dynamische Kunst der sogenannten Minoer, die plötzlich in der Isolation Kretas aufzutauchen schienen, nährten Spekulationen, dass diese Menschen aus anderen fortschrittlicheren Gesellschaften eingewandert seien. Nun hat ein internationales Team von Wissenschaftlern durch die Untersuchung von alter menschlicher DNA aus der Bronzezeit mehr Licht in das Rätsel gebracht. Daran waren Forscherinnen und Forscher vom Institut für naturwissenschaftliche Archäologie und des Zentrums für Bioinformatik der Universität Tübingen beteiligt. Ihre aktuell in der Fachzeitschrift Nature erscheinende Veröffentlichung legt nahe, dass die sogenannten Minoer keineswegs neu in das Gebiet des heutigen Griechenlands einwanderten, vielmehr wurzelte ihre Herkunft direkt in der Ägäis. Die ursprünglichen Ahnen sowohl der als Minoer bezeichneten Einwohner Kretas als auch der als Mykener bezeichneten bronzezeitlichen Einwohner des griechischen Festlandes waren Populationen aus dem steinzeitlichen Westanatolien und Griechenland. Die beiden Gruppen waren eng miteinander verwandt – sowie auch mit den heutigen Griechen.
Die beiden Schriftformen der minoischen Kultur (ca. 2600 bis 1100 v. Chr.), die sogenannte Linearschrift A und eine nur auf Kreta verwendete Hieroglyphenschrift, konnten bis heute nicht entziffert werden. Die mykenische Kultur (ca. 1600 bis 1100 v. Chr.), die viel von der minoischen Technologie und Kultur aufnahm, setzte deutlich später ein. Sie existierte aber parallel für einige hundert Jahre auf dem Festland, bevor sich diese Kultur auch auf Kreta ausbreitete. Die Linearschrift B der Mykener entspricht einer frühen Form des Griechischen. „Wir wollten wissen, ob und inwieweit die Menschen, die diese Kulturen geschaffen haben, genetisch miteinander verwandt waren. Wer waren ihre Vorfahren, und finden sich ihre genetischen Spuren noch bei heutigen Griechen?“, beschreibt Professor Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und Studienleiter an der Universität Tübingen, die Forschungsfragen.
Umfassende genetische Vergleiche
Die Forscher analysierten genomweite Daten von 19 Individuen, darunter Minoer, Mykener, ein neolithisches Individuum vom griechischen Festland sowie bronzezeitliche Individuen aus Südwestanatolien. Dies gelang, obwohl die DNA unter den Klimabedingungen im Mittelmeerraum in der Regel nur sehr schlecht konserviert ist. Diese Daten verglichen die Forscher mit fast 3000 alten und neuen DNA-Sätzen und konnten dadurch die Verwandtschaft der Minoer und Mykener klären. „Die sogenannten Minoer waren einheimisch, sie stammten von den ersten steinzeitlichen Viehhaltern aus Westanatolien und der Ägäis ab“, berichtet Krause. „Außerdem ergaben die Daten eine enge Verwandtschaft zu den sogenannten Mykenern.“ Minoer und Mykener wie auch die Nachbarn im bronzezeitlichen Anatolien stammten hauptsächlich von einer neolithischen Population aus Anatolien ab mit einem kleinen Einschlag aus dem ferneren Osten, von Populationen aus dem Kaukasus und Iran.
„Man ging früher davon aus, dass dieser östliche genetische Einschlag durch Viehhalter aus der Steppe im Norden nach Europa gekommen war. Wir wissen nun, dass die ‚Minoer‘ zwar die östlichen Gene in sich trugen, jedoch waren sie mit den nördlichen Steppenpopulationen nicht näher verwandt – während die ‚Mykener‘ beide Verwandtschaften aufweisen“, sagt Krause. Dies zeige, dass das genetische Erbe aus dem Kaukasus und Iran unabhängig nach Europa getragen worden sein muss, möglicherweise durch eine bisher unbekannte Wanderungsbewegung. „Außerdem weisen unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Viehhalter aus den nördlichen Steppen zwar bis aufs griechische Festland wanderten, jedoch nicht bis zu den ‚Minoern‘ auf Kreta.“
Ein zeitlicher Rahmen für frühere Wanderungsbewegungen
Die Ergebnisse der neuen Studie klären auch die zeitlichen Abläufe der Wanderungsbewegungen: „DNA-Proben aus dem späten Neolithikum Griechenlands, ungefähr aus den Jahren um 4100 v. Chr., tragen weder die östliche noch die nördliche Verwandtschaft in sich. Für die genetische Durchmischung ergibt sich ein Zeitfenster vom vierten bis zweiten Jahrtausend v. Chr.“, erklärt David Reich von der Harvard Medical School und dem Broad Institute. Für eine genauere zeitliche Eingrenzung müssten weitere Untersuchungen folgen.
Obwohl heutige Griechen nicht mit den bronzezeitlichen Populationen in ihrem Gebiet gleichzusetzen sind, so sind sie doch mit den „Mykenern“ eng verwandt. Sie haben sich mit anderen Gruppen gemischt. „Die Populationen im heutigen Griechenland zeigen eine deutliche Kontinuität zur Bronzezeit, waren aber sicherlich nicht isoliert“, sagt Krause. Iosif Lazaridis von der Harvard Medical School setzt hinzu: „Es ist bemerkenswert, wie beständig die Verwandtschaft zu den ersten europäischen Bauern in Griechenland und in anderen Teilen Südeuropas nachzuweisen ist. Doch Durchmischungen mit anderen Populationen hat es immer gegeben. Es gab mindestens zwei Einwanderungswellen in die Ägäis noch vor der Zeit der sogenannten ‚Minoer‘ und ‚Mykener‘ und einige weitere danach.“
Publikation:
Iosif Lazaridis, Alissa Mittnik, Nick Patterson, Swapan Mallick, Nadin Rohland, Saskia Pfrengle, Anja Furtwängler, Alexander Peltzer, Cosimo Posth, Andonis Vasilakis, P.J.P. McGeorge, Eleni Konsolaki-Yannopoulou, George Korres, Holley Martlew, Manolis Michalodimitrakis, Mehmet Özsait, Nesrin Özsait, Anastasia Papathanasiou, Michael Richards, Songül Alpaslan Roodenberg, Yannis Tzedakis, Robert Arnott, Daniel M. Fernandes, Jeffery R. Hughey, Dimitra M. Lotakis, Patrick A. Navas, Yannis Maniatis, John A. Stamatoyannopoulos, Kristin Stewardson, Philipp Stockhammer, Ron Pinhasi, David Reich, Johannes Krause, George Stamatoyannopoulos: Genetic origins of the Minoans and Mycenaeans. Nature, DOI: 10.1038/nature23310
Kontakt:
Prof. Dr. Johannes Krause Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und Universität Tübingen Telefon +49 3641 686-600 krause@shh.mpg.de
Kinder, deren Eltern sich wenig für Mathematik interessieren, profitieren mehr von einer unterstützenden Maßnahme zur Steigerung der Motivation als Kinder, deren Eltern Mathematik als wichtig erachten. Das haben Wissenschaftler vom Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen in einer Studie herausgefunden. Es zeigte sich ein Robin-Hood-Effekt in dem Sinne, dass die „Motivationslücke“ zwischen Kindern aus unterschiedlichen Familien verringert wird, indem nützliche Informationen zugunsten benachteiligter Kinder verteilt werden. Der sogenannte Matthäus-Effekt, der besagt, dass vor allem diejenigen von einer Maßnahme profitieren, die sowieso schon gute Voraussetzungen mitbringen und deshalb privilegiert sind, trat bei dieser Maßnahme nicht ein. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Developmental Psychology veröffentlicht.
Für ihre Studie haben die Wissenschaftler Daten von rund 1.900 Neuntklässlern an Gymnasien in Baden-Württemberg und ihren Eltern ausgewertet. Sie wurden zu ihrer Einstellung zu Mathematik befragt. Anschließend nahmen die Schülerinnen und Schüler an einer Unterrichtseinheit über die Nützlichkeit des Faches Mathematik teil, die von den Wissenschaftlern geleitet wurde. Dabei wurden den Schülerinnen und Schülern in einer Präsentation wichtige Informationen zur Frage vermittelt, wie und in welchen Bereichen Mathematik für ihr eigenes Leben von Bedeutung sein könnte, etwa für ihren Wunschberuf oder für bestimmte Alltagssituationen. Anschließend verfassten sie entweder selbst einen Text oder werteten Zitate von jungen Erwachsenen aus, in denen es um die Nützlichkeit von Mathematik ging.
Jeweils sechs Wochen und fünf Monate danach wurden die Schülerinnen und Schüler erneut zu ihrer Motivation für das Fach Mathematik befragt. Insgesamt erwies sich die Intervention als effektiv, da die Teilnahme an der Unterrichtseinheit positive Effekte auf die Wertschätzung für Mathematik, die Anstrengungsbereitschaft sowie die Leistung in Mathematik hatte. Gleichzeitig stellte sich aber auch heraus, dass die Unterrichtseinheit auf diejenigen Schülerinnen und Schüler besonders motivierend wirkte, die aus einem Elternhaus mit wenig Interesse für Mathematik stammten. Diese unterschiedliche Wirkung zeigte sich jedoch erst nach fünf Monaten. „Wir nahmen an, dass die Effekte bei den weniger privilegierten Schülern sich nicht sofort in deren Motivation niederschlagen würde, sondern es einige Zeit dauert, bis sie das Gehörte verarbeitet und verinnerlicht haben“, erklärt Isabelle Häfner, die Erstautorin der Studie. Dieser sogenannte Sleeper-Effekt wirke umso stärker, je mehr Zeit verstreiche.
Es zeigte sich außerdem, dass nicht der sozioökonomische Status der Familien eine zentrale Rolle für die Motivation der Kinder spielt – das beinhaltet die Bildung, den Beruf und das Einkommen der Eltern – sondern das Interesse für ein Fach. „Sind die Eltern beispielsweise an Mathematik interessiert, könnte sich das in ihren Freizeitaktivitäten niederschlagen; sie reden mehr mit ihren Kindern über das Fach und geben so ihr Interesse an sie weiter“, sagt Häfner. Umgekehrt verfügen Schülerinnen und Schüler aus Elternhäusern, die der Mathematik eher weniger nahestehen, nicht über diese Informationen. Wenn sie dann in der Schule davon hören, können sie mehr davon profitieren, da diese Informationen neu sind und sie zum Nachdenken anregen. Ulrich Trautwein, einer der beiden Projektleiter, hebt die Bedeutung dieses Befundes hervor: „Oftmals zeigt sich, dass von zusätzlichen Angeboten diejenigen besonders profitieren, die bereits gut dastehen. Unsere Intervention konnte gezielt dazu beitragen, die Motivationslücke zwischen Kindern aus interessierten und weniger interessierten Familien zu verringern.“
Originalpublikation:
Häfner, I., Flunger, B., Dicke, A.-L., Gaspard, H., Brisson, B. M., Nagengast, B., & Trautwein, U. (2017). Robin Hood effects on motivation in math: Family interest moderates the effects of relevance interventions. Developmental Psychology, 53(8), 1522-1539. doi:10.1037/dev0000337
Kontakt:
Prof. Dr. Ulrich Trautwein Universität Tübingen Graduiertenschule & Forschungsnetzwerk LEAD/ Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung Telefon +49 7071 29-73931 ulrich.trautwein@uni-tuebingen.de
www.lead.uni-tuebingen.de www.hib.uni-tuebingen.de
Ein verhaltenstherapeutisches Gruppentraining erzielt als Therapieform bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) genauso gute Erfolge wie ein Neurofeedback-Training: Beide Methoden führen zu einer vergleichbaren Abnahme der Symptome. Die Verhaltenstherapie erweise sich dabei aber als insgesamt effizienter, schlussfolgern Dr. Michael Schönenberg und sein Team aus der „Klinischen Psychologie und Psychotherapie“ an der Universität Tübingen in einer Studie, in der sie mit erwachsenen Probanden verschiedene Therapieformen vergleichend getestet hatten. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin The Lancet Psychiatry veröffentlicht.
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine bereits im Kindes- und Jugendalter beginnende psychische Störung, die bei bis zu 60 Prozent der Fälle auch im Erwachsenenalter fortbesteht und zu Schwierigkeiten im Berufs- wie auch Privatleben führen kann. Betroffene berichten von Symptomen wie Impulsivität, geringe Stresstoleranz, innerer Ruhelosigkeit und Getriebenheit. Dazu kommen Schwierigkeiten in Planung und Organisation sowie die Unfähigkeit, sich längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren und diese zum Abschluss zu bringen. Mit Medikamenten lassen sich die Symptome gut behandeln, ähnliche Erfolge werden auch für nicht pharmakologische Therapieformen berichtet.
Kontrovers diskutiert wird vor allem das sogenannte Neurofeedback, bei dem Patienten lernen sollen, ihre Hirnströme gezielt zu beeinflussen und so einen Rückgang der Symptome zu erreichen. Frühere Studien konnten überzeugend zeigen, dass ADHS-Symptome tatsächlich nach einem solchen Training abnehmen. Dennoch ist umstritten, ob die Verbesserung tatsächlich auf die spezifische Wirkung des Trainings zurück zu führen ist oder eher der Wirkung unspezifischer Placebo-Effekte zugeschrieben werden muss.
In einer aktuellen Studie testeten die Tübinger Psychologen gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Bamberg, Bayreuth und Budapest vergleichend ein Neurofeedbacktraining, ein Placebotraining (die Teilnehmer bekamen nicht die eigenen Hirnströme rückgemeldet) und ein verhaltenstherapeutisches Gruppenprogramm, bei dem unter anderem spezifische Strategien zur Handlungsplanung, ein verbessertes Zeitmanagement und Stressbewältigungstechniken eingeübt werden. 118 Erwachsene mit ADHS-Symptomatik erhielten dafür über einen Zeitraum von 15 Wochen entweder insgesamt 30 Sitzungen Neurofeedback oder 15 Sitzungen Placebotraining und im Anschluss daran 15 Sitzungen Neurofeedback. Eine weitere Vergleichsgruppe erhielt über 12 Wochen insgesamt 12 Sitzungen verhaltenstherapeutische Gruppentherapie. Verglichen wurden Veränderungen in der Symptomschwere, in objektiven Tests zur Konzentrationsfähigkeit und in zugrundeliegenden Hirnstrommustern über vier Messzeitpunkte von vor Beginn der Intervention bis zu sechs Monaten nach Trainingsende.
Es habe sich herausgestellt, dass die Effekte einer Neurofeedbackintervention denen eines Placebotrainings nicht überlegen waren, berichten die Wissenschaftler. Beide Trainings hätten eine gute Wirkung gezeigt, einen spezifischen Effekt des Neurofeedbacks auf die Hirnströme habe man jedoch nicht nachweisen können. Es habe sich außerdem gezeigt, dass das verhaltenstherapeutische Gruppentraining ebenfalls zu einer vergleichbaren Abnahme der Symptome führe, sagt Projektleiter Michael Schönenberg. „Und dies bei wesentlich geringerem Aufwand der Methode. Unter anderem braucht es weniger Sitzungen, statt Einzeltraining ist ein Gruppentraining möglich und es entstehen keine Zusatzkosten durch Anschaffung und Unterhaltung der technischen Voraussetzungen.“ Die Befunde der Studie fasst er so zusammen: „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass verhaltenstherapeutische Ansätze sehr effektiv und effizient in der Behandlung von ADHS-Symptomen im Erwachsenenalter sind. Bevor andere Methoden für die Therapie empfohlen werden können, müssen diese erst ihre Überlegenheit gegenüber verhaltenstherapeutischen Standardmethoden unter Beweis stellen.“
Publikation:
Michael Schönenberg, Eva Wiedemann, Alexander Schneidt, Jonathan Scheeff, Alexander Logemann, Philipp M. Keune, Martin Hautzinger: Neurofeedback, sham neurofeedback, and cognitive-behavioural group therapy in adults with attention-deficit hyperactivity disorder: a triple-blind, randomised, controlled trial. The Lancet Psychiatry, Published Online, August 9, 2017; http://dx.doi.org/10.1016/S2215-0366(17)30291-2
The Lancet Psychiatry Podcast: http://www.thelancet.com/journals/lanpsy/onlineFirst
Kontakt:
PD Dr. Michael Schönenberg (Derzeit am besten per Mail erreichbar) Universität Tübingen Abteilung für Klinische Psychologie Telefon: +49 7071 29-78355 michael.schoenenberg@uni-tuebingen.de
Krankheitserreger und Abfall beseitigen – das ist die Hauptaufgabe von Mikrogliazellen. Sie gehören zur Gruppe der Nicht-Nervenzellen im Gehirn, deren Aufgabe es ist, unsere Denkzellen bei der Arbeit zu unterstützen. Anders als bisher angenommen können die Fresszellen bei Mäusen genauso lange leben wie die Maus selbst. Das berichten Forscher am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, der Universität Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Tübingen in einer Online-Vorabveröffentlichung am 28. August auf der Webseite der Fachzeitschrift Nature Neuroscience. In ihrer Studie verfolgten die Wissenschaftler einzelne Mikrogliazellen über ihre gesamte Lebenspanne unter dem Mikroskop. Die unerwartet lange Lebenszeit gibt Hinweise auf weitere mögliche Aufgaben der bislang noch wenig erforschten Hirnzellen: „Ihre Langlebigkeit ermöglicht es ihnen, zu lernen und zu altern“, erklärt Studienleiter Professor Dr. Mathias Jucker. „Damit könnten sie ein Immungedächtnis ausbilden und zur Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen beitragen.“
Bislang ist unklar, ob Mikrogliazellen ein Gedächtnis für Krankheitserreger ausbilden können, wie es Immunzellen im restlichen Körper tun. Diese Funktion sorgt für eine schnellere und effizientere Aktivierung der Abwehrzellen bei einem Zweitkontakt. „Wenn Mikrogliazellen nur kurz leben würden, würde ein Immungedächtnis bei ihnen wenig Sinn ergeben. Jetzt, da wir wissen, dass das nicht der Fall ist, ist es gut vorstellbar“, sagt Dr. Angelos Skodras, der ebenfalls federführend an der Studie beteiligt war. Tatsächlich gibt es erste Anzeichen, dass eine frühe Anregung des Immunsystems im Gehirn die Aktivität der Mikrogliazellen dauerhaft verändert.
Darüber hinaus stehen Mikroglia bereits seit Längerem in Verdacht, eine Rolle bei der Entstehung altersbedingter neurologischer Erkrankungen zu spielen. „Eine erstaunliche Erkenntnis der letzten Jahre ist, dass fast alle Risikofaktoren für die Alzheimererkrankung Veränderungen in Genen sind, die in Mikrogliazellen aktiv sind“, so Jucker. Wie die Zellen zur Krankheitsentwicklung beitragen können, ist noch unklar. „Der Alterungsprozess dieser Mikroglia könnte dabei von Bedeutung sein – und hierfür ist eine allgemein lange Lebensdauer dieser Hirnzellen die Voraussetzung.“
Die Anzahl der Mikrogliazellen ist im gesunden Gehirn immer etwa gleich. Bislang war in der Wissenschaft aber umstritten, ob es sich bei Mikroglia um kurzlebige Zellen handelt, die sich rasch teilen und erneuern oder um sich selten teilende, langlebige Zellen handelt. Bisherige Studien erlaubten nur indirekte Antworten oder führten zu widersprüchlichen Ergebnissen. Die Tübinger Hirnforscher beschlossen daher, der Frage auf den Grund zu gehen. Dafür markierte Erstautorin Dr. Petra Füger gezielt einzelne Mikrogliazellen in Mäusen und beobachteten die Zellen im Zeitverlauf unter dem 2-Photonen-Mikroskop. „Das Ergebnis unserer Untersuchung war völlig offen. In unserer Abteilung hatten wir eine Wette laufen. Die einzelnen Vorhersagen reichten von einigen Monaten bis zu mehr als einem Jahr“, berichtet Jucker. Tatsächlich zeigte die Hälfte der untersuchten Zellen eine errechnete Lebensdauer von bis zu 28 Monaten, was einem ganzen Mäuseleben entspricht. „Mit unserer Studie konnten wir den grundsätzlichen Beweis für die Langlebigkeit von Mikroglia erbringen“, so die Autoren.
Originalpublikation:
Füger et al. (2017): Microglia turnover with aging and in an Alzheimer´s model via long-term in vivo single-cell imaging. Nature Neuroscience, Online Vorabveröffentlichung am 28.08.2017 doi: 10.1038/nn.4631
Kontakt:
Prof. Dr. Mathias Jucker Hertie-Institut für klinische Hirnforschung Universität Tübingen Telefon +49 7071 29- 86863 mathias.jucker[at]uni-tuebingen.de
Im Spitzensport wird wesentlich mehr gedopt, als durch Blut- und Urintests nachgewiesen werden kann. Bei einer wissenschaftlichen Studie gaben mindestens 30 Prozent der Teilnehmenden der Leichtathletikweltmeisterschaft 2011 und 45 Prozent Sportler bei den Pan-Arabischen Spielen 2011 an, Dopingmittel genommen zu haben. Mit zeitgleich durchgeführten biologischen Testverfahren wurde nur ein Bruchteil der Dopingfälle erkannt: 0,5 Prozent der Tests bei den Weltmeisterschaften waren positiv; bei den Pan-Arabischen Spielen waren es 3,6 Prozent. Im Auftrag der World Anti Doping Agency (WADA) haben Professor Rolf Ulrich von der Universität Tübingen und Professor Harrison Pope von der Harvard Medical School im Jahr 2011 eine Untersuchung durchgeführt. Die Ergebnisse der repräsentativen Studie „Doping in Two Elite Athletics Competitions Assessed by Randomized-Response Surveys“ wurden nun in der Zeitschrift Sports Medicine veröffentlicht. Im Anhang der Publikation sind außerdem detaillierte statistische und mathematische Analysen aufgeführt, die die Aussagekraft der Studie untermauern.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten bei den Leichtathletikweltmeisterschaften in Daegu (Südkorea) und den Pan-Arabischen Spielen in Doha (Qatar) insgesamt 2.167 Teilnehmende befragt, ob sie vor den Wettkämpfen gedopt hätten. Insgesamt traten bei beiden Veranstaltungen 5.187 Sportlerinnen und Sportler an. Eine indirekte Fragemethode, die sogenannte „Randomisierte Antworttechnik“ gewährleistete die Anonymität der Befragten – sie konnten also ehrlich antworten und mussten keine negativen Konsequenzen fürchten.
„Die indirekte Fragemethode wird bei sensiblen Themen angewendet. In einer direkten Frage-Antwort-Situation würden die Probanden sozial erwünschte und eventuell falsche Antworten liefern. Die Anonymität gibt Schutz und sie können ehrlich antworten“ erklärt Professor Rolf Ulrich das Vorgehen. Er ist Leiter des Arbeitsbereiches Kognition und Wahrnehmung im Fachbereich Psychologie an der Universität Tübingen.
Für die Studie wurde die indirekte Fragemethode erstmals bei zwei großen internationalen Sportwettkämpfen eingesetzt. Sechs Interviewerinnen und Interviewer, die gemeinsam zehn Sprachen beherrschten, waren vor Ort und baten 2.320 Athletinnen und Athleten persönlich um deren Teilnahme. Über 90 Prozent erklärten sich dazu bereit. Auf einem Tablet-Computer sollten die Sportlerinnen und Sportler eine von zwei Fragen beantworten: entweder eine unverfängliche über einen Geburtstag oder ob sie in den zwölf Monaten davor gedopt haben. Wenn der Athlet oder die Athletin also mit „Ja“ antwortete, konnten kein Außenstehender beurteilen, welcher Frage diese Antwort halt. Der Zufall entschied darüber, welche der beiden Fragen sie beantworteten sollten. Auf diese Weise war die Anonymität der Sportlerinnen und Sportler garantiert.
Obwohl die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die individuellen Antworten nicht wussten, konnten sie mit Methoden der mathematischen Statistik näherungsweise berechnen, wie viele Teilnehmende die Dopingfrage mit „Ja“ beantwortet hatten. Sie berücksichtigten dabei verschiedene Szenarien, die eine falsche Antwort hervorgerufen haben könnten. Beispielsweise wurden die schnellsten Antworten nicht mit eingerechnet, weil die Befragten den Text möglicherweise nicht gründlich gelesen hatten.
„Die Studie macht deutlich, dass durch biologische Tests von Blut- und Urinproben bei weitem nicht alle Dopingfälle aufgedeckt werden“ betont Pope, Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School. „Wie in der Publikation beschrieben liegt das vermutlich daran, dass die Athletinnen und Athleten zahlreiche Wege gefunden zu haben, bei Tests nicht aufzufallen.“
Besonders die Tests unmittelbar vor und während eines Wettkampfes fielen pro Jahr durchschnittlich nur zu ein bis drei Prozent positiv aus. Dopingmittel seien zu diesem Zeitpunkt oft nicht mehr biologisch nachweisbar, weil sie lange vorher eingenommen würden. Eine höhere Aufklärungsquote mit etwa 14 Prozent biete der sogenannte „Biologische Pass“: Er dokumentiere medizinische Daten der Sportlerinnen und Sportler. In der Langzeitdokumentation fielen Abweichungen auf, die durch Dopingmissbrauch verursacht werden können. Als Dopingmittel gelten alle Hilfsmittel, die die WADA auf der „Liste der verbotenen Substanzen und Methoden“ führt.
Dass die aktuelle Publikation von Rolf Ulrich und Harrison Pope und weiteren Autoren nach einem langwierigen Freigabeverfahren erscheinen kann, ist auch ein Verdienst von Professor Georg Sandberger, Jurist und ehemaliger Kanzler der Universität Tübingen. Er vertrat die Wissenschaftler gegenüber der WADA und dem Weltleichtathletikverband (IAAF), um die zwischen WADA und den beteiligten Wissenschaftlern vereinbarte Zustimmung der WADA zu einer Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in einer Fachzeitschrift zu erreichen. Die Studie wurde bereits 2015 ohne Veranlassung seitens der Autoren von Medien aufgegriffen, als systematisches Doping in der russischen Leichtathletik bekannt wurde. Daraufhin veranlasste das Komitee für Kultur, Medien und Sport im britischen Parlament eine Anhörung, in deren Verlauf Teile der Studie ohne Zustimmung der Autoren an die Öffentlichkeit gelangten.
Die Veröffentlichung der gesamten wissenschaftlichen Studie und der detaillierten Daten könnte weitere Forschungen zu Doping im Profisport anregen, hoffen die Autoren. „Die Studie kann eine konstruktive Debatte vor allem aber neue Strategien für die Eindämmung von Dopingmissbrauch anstoßen. Indirekte Fragemethoden wie die ‚Randomisierte Antwortmethode‘ sind ein guter Ansatz, um fundierte Aussagen über die tatsächliche Verbreitung von Doping treffen zu können“, so Ulrich.
Publikation:
Rolf Ulrich, Harrison G. Pope Jr., Léa Cléret, Andrea Petróczi, Tamás Nepusz, Jay Schaffer, Gen Kanayama, R. Dawn Comstock, Perikles Simon: Doping in Two Elite Athletics Competitions Assessed by Randomized-Response Surveys. In: Sports Medicine. DOI 10.1007/s40279-017-0765-4, https://link.springer.com/article/10.1007/s40279-017-0765-4
Kontakt:
Prof. Dr. Rolf Ulrich Universität Tübingen Fachbereich Psychologie Arbeitsbereich Kognition und Wahrnehmung Telefon: +49 7071 29-72410 rolf.ulrich@uni-tuebingen.de
Prof. Dr. Harrison Pope Jr. Harvard Medical School McLean Hospital Telefon: +1 617 855-2911 hpope@mclean.harvard.edu
Bei bestimmten Parkinsonformen könnte ein Diabetesmedikament helfen, berichten Tübinger Hirnforscher um Dr. Julia Fitzgerald am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, der Universität Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Tübingen in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Brain. Die Neurowissenschaftler identifizierten ein Eiweiß, das eine wichtige Rolle im Energiehaushalt von Zellen spielt. Fehlt dieses Protein, ist der Energiehaushalt nachhaltig gestört. Dies kann zum Zelltod und letztendlich zum Ausbruch der Parkinson-Krankheit führen. Bei der Erkrankung sterben Nervenzellen in einem Gehirnbereich ab, der Bewegungen kontrolliert. Anhand von Zellkulturen zeigten die Forscher, dass das Diabetesmedikament Metformin in den Energiehaushalt eingreift und so die Zellen schützt.
„Wir haben Zellen eines an Parkinson erkrankten Patienten untersucht und gesehen, dass ein wichtiges Protein fehlt, welches die Energiegewinnung in den Mitochondrien reguliert“, erklärt Dr. Julia Fitzgerald. Die Folge: Unabhängig vom tatsächlichen Verbrauch produzieren die Zellen in ihren Kraftwerken, den Mitochondrien, durchgängig Energie. Dabei entsteht jedoch auch ein Übermaß an freien Sauerstoffradikalen. Sie schädigen die Zelle und führen langfristig zu Zellalterung und Tod. „Das Diabetesmedikament wirkt hier wie eine Bremse. Es verlangsamt die Bildung von Energie und Sauerstoffradikalen und schützt die Zellen so vor negativen Auswirkungen“, berichtet die Forscherin.
Die Studie der Tübinger Neurowissenschaftler gibt einen weiteren Hinweis, dass Diabetesmedikamente positiven Einfluss bei bestimmten Parkinsonformen zu haben scheinen. „Erst vor kurzem zeigte eine englisch-amerikanische Forschungskooperation, dass ein anderes Medikament Bewegungsstörungen bei Parkinsonpatienten vermindern kann“, sagt Fitzgerald. Die neuen Erkenntnisse tragen zur Entwicklung einer individualisierten Medizin bei. Mit ihr möchten Mediziner in Zukunft zielgerichtet den zugrundeliegenden individuellen Krankheitsauslöser beim Patienten therapieren. Bei der Entstehung von Parkinson spielen sowohl eine erbliche Veranlagung als auch Umwelteinflüsse eine Rolle. „Die Ursache variiert letztendlich von Person zu Person“, sagt Fitzgerald. „Langfristig kommt unsere Studie Patienten zugute, bei denen eine fehlerhafte Energiegewinnung in den Zellen zur Krankheit führt.“ Aktuell gibt es bei Parkinson keine Medikamente, die den Krankheitsprozess aufhalten oder verlangsamen können. Ärzte können lediglich die Symptome behandeln. Weltweit sind rund zehn Millionen Menschen von der Erkrankung betroffen.
Originalpublikation
Fitzgerald et al. (2017): Metformin reverses TRAP1 mutation-associated alterations in mitochondrial function in Parkinson’s disease. Brain 140(9), pp 2444–2459. doi: 10.1093/brain/awx202
Kontakt
Dr. Julia Fitzgerald Hertie-Institut für klinische Hirnforschung Universität Tübingen Telefon +49 7071 29- 87616 julia.fitzgerald@uni-tuebingen.de
Kinder, deren Eltern sich wenig für Mathematik interessieren, profitieren mehr von einer unterstützenden Maßnahme zur Steigerung der Motivation als Kinder, deren Eltern Mathematik als wichtig erachten. Das haben Wissenschaftler vom Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen in einer Studie herausgefunden. Es zeigte sich ein Robin-Hood-Effekt in dem Sinne, dass die „Motivationslücke“ zwischen Kindern aus unterschiedlichen Familien verringert wird, indem nützliche Informationen zugunsten benachteiligter Kinder verteilt werden. Der sogenannte Matthäus-Effekt, der besagt, dass vor allem diejenigen von einer Maßnahme profitieren, die sowieso schon gute Voraussetzungen mitbringen und deshalb privilegiert sind, trat bei dieser Maßnahme nicht ein. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Developmental Psychology veröffentlicht.
Für ihre Studie haben die Wissenschaftler Daten von rund 1.900 Neuntklässlern an Gymnasien in Baden-Württemberg und ihren Eltern ausgewertet. Sie wurden zu ihrer Einstellung zu Mathematik befragt. Anschließend nahmen die Schülerinnen und Schüler an einer Unterrichtseinheit über die Nützlichkeit des Faches Mathematik teil, die von den Wissenschaftlern geleitet wurde. Dabei wurden den Schülerinnen und Schülern in einer Präsentation wichtige Informationen zur Frage vermittelt, wie und in welchen Bereichen Mathematik für ihr eigenes Leben von Bedeutung sein könnte, etwa für ihren Wunschberuf oder für bestimmte Alltagssituationen. Anschließend verfassten sie entweder selbst einen Text oder werteten Zitate von jungen Erwachsenen aus, in denen es um die Nützlichkeit von Mathematik ging.
Jeweils sechs Wochen und fünf Monate danach wurden die Schülerinnen und Schüler erneut zu ihrer Motivation für das Fach Mathematik befragt. Insgesamt erwies sich die Intervention als effektiv, da die Teilnahme an der Unterrichtseinheit positive Effekte auf die Wertschätzung für Mathematik, die Anstrengungsbereitschaft sowie die Leistung in Mathematik hatte. Gleichzeitig stellte sich aber auch heraus, dass die Unterrichtseinheit auf diejenigen Schülerinnen und Schüler besonders motivierend wirkte, die aus einem Elternhaus mit wenig Interesse für Mathematik stammten. Diese unterschiedliche Wirkung zeigte sich jedoch erst nach fünf Monaten. „Wir nahmen an, dass die Effekte bei den weniger privilegierten Schülern sich nicht sofort in deren Motivation niederschlagen würde, sondern es einige Zeit dauert, bis sie das Gehörte verarbeitet und verinnerlicht haben“, erklärt Isabelle Häfner, die Erstautorin der Studie. Dieser sogenannte Sleeper-Effekt wirke umso stärker, je mehr Zeit verstreiche.
Es zeigte sich außerdem, dass nicht der sozioökonomische Status der Familien eine zentrale Rolle für die Motivation der Kinder spielt – das beinhaltet die Bildung, den Beruf und das Einkommen der Eltern – sondern das Interesse für ein Fach. „Sind die Eltern beispielsweise an Mathematik interessiert, könnte sich das in ihren Freizeitaktivitäten niederschlagen; sie reden mehr mit ihren Kindern über das Fach und geben so ihr Interesse an sie weiter“, sagt Häfner. Umgekehrt verfügen Schülerinnen und Schüler aus Elternhäusern, die der Mathematik eher weniger nahestehen, nicht über diese Informationen. Wenn sie dann in der Schule davon hören, können sie mehr davon profitieren, da diese Informationen neu sind und sie zum Nachdenken anregen. Ulrich Trautwein, einer der beiden Projektleiter, hebt die Bedeutung dieses Befundes hervor: „Oftmals zeigt sich, dass von zusätzlichen Angeboten diejenigen besonders profitieren, die bereits gut dastehen. Unsere Intervention konnte gezielt dazu beitragen, die Motivationslücke zwischen Kindern aus interessierten und weniger interessierten Familien zu verringern.“
Originalpublikation:
Häfner, I., Flunger, B., Dicke, A.-L., Gaspard, H., Brisson, B. M., Nagengast, B., & Trautwein, U. (2017). Robin Hood effects on motivation in math: Family interest moderates the effects of relevance interventions. Developmental Psychology, 53(8), 1522-1539. doi:10.1037/dev0000337
Kontakt:
Prof. Dr. Ulrich Trautwein Universität Tübingen Graduiertenschule & Forschungsnetzwerk LEAD/ Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung Telefon +49 7071 29-73931 ulrich.trautwein@uni-tuebingen.de
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Ein verhaltenstherapeutisches Gruppentraining erzielt als Therapieform bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) genauso gute Erfolge wie ein Neurofeedback-Training: Beide Methoden führen zu einer vergleichbaren Abnahme der Symptome. Die Verhaltenstherapie erweise sich dabei aber als insgesamt effizienter, schlussfolgern Dr. Michael Schönenberg und sein Team aus der „Klinischen Psychologie und Psychotherapie“ an der Universität Tübingen in einer Studie, in der sie mit erwachsenen Probanden verschiedene Therapieformen vergleichend getestet hatten. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin The Lancet Psychiatry veröffentlicht.
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine bereits im Kindes- und Jugendalter beginnende psychische Störung, die bei bis zu 60 Prozent der Fälle auch im Erwachsenenalter fortbesteht und zu Schwierigkeiten im Berufs- wie auch Privatleben führen kann. Betroffene berichten von Symptomen wie Impulsivität, geringe Stresstoleranz, innerer Ruhelosigkeit und Getriebenheit. Dazu kommen Schwierigkeiten in Planung und Organisation sowie die Unfähigkeit, sich längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren und diese zum Abschluss zu bringen. Mit Medikamenten lassen sich die Symptome gut behandeln, ähnliche Erfolge werden auch für nicht pharmakologische Therapieformen berichtet.
Kontrovers diskutiert wird vor allem das sogenannte Neurofeedback, bei dem Patienten lernen sollen, ihre Hirnströme gezielt zu beeinflussen und so einen Rückgang der Symptome zu erreichen. Frühere Studien konnten überzeugend zeigen, dass ADHS-Symptome tatsächlich nach einem solchen Training abnehmen. Dennoch ist umstritten, ob die Verbesserung tatsächlich auf die spezifische Wirkung des Trainings zurück zu führen ist oder eher der Wirkung unspezifischer Placebo-Effekte zugeschrieben werden muss.
In einer aktuellen Studie testeten die Tübinger Psychologen gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Bamberg, Bayreuth und Budapest vergleichend ein Neurofeedbacktraining, ein Placebotraining (die Teilnehmer bekamen nicht die eigenen Hirnströme rückgemeldet) und ein verhaltenstherapeutisches Gruppenprogramm, bei dem unter anderem spezifische Strategien zur Handlungsplanung, ein verbessertes Zeitmanagement und Stressbewältigungstechniken eingeübt werden. 118 Erwachsene mit ADHS-Symptomatik erhielten dafür über einen Zeitraum von 15 Wochen entweder insgesamt 30 Sitzungen Neurofeedback oder 15 Sitzungen Placebotraining und im Anschluss daran 15 Sitzungen Neurofeedback. Eine weitere Vergleichsgruppe erhielt über 12 Wochen insgesamt 12 Sitzungen verhaltenstherapeutische Gruppentherapie. Verglichen wurden Veränderungen in der Symptomschwere, in objektiven Tests zur Konzentrationsfähigkeit und in zugrundeliegenden Hirnstrommustern über vier Messzeitpunkte von vor Beginn der Intervention bis zu sechs Monaten nach Trainingsende.
Es habe sich herausgestellt, dass die Effekte einer Neurofeedbackintervention denen eines Placebotrainings nicht überlegen waren, berichten die Wissenschaftler. Beide Trainings hätten eine gute Wirkung gezeigt, einen spezifischen Effekt des Neurofeedbacks auf die Hirnströme habe man jedoch nicht nachweisen können. Es habe sich außerdem gezeigt, dass das verhaltenstherapeutische Gruppentraining ebenfalls zu einer vergleichbaren Abnahme der Symptome führe, sagt Projektleiter Michael Schönenberg. „Und dies bei wesentlich geringerem Aufwand der Methode. Unter anderem braucht es weniger Sitzungen, statt Einzeltraining ist ein Gruppentraining möglich und es entstehen keine Zusatzkosten durch Anschaffung und Unterhaltung der technischen Voraussetzungen.“ Die Befunde der Studie fasst er so zusammen: „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass verhaltenstherapeutische Ansätze sehr effektiv und effizient in der Behandlung von ADHS-Symptomen im Erwachsenenalter sind. Bevor andere Methoden für die Therapie empfohlen werden können, müssen diese erst ihre Überlegenheit gegenüber verhaltenstherapeutischen Standardmethoden unter Beweis stellen.“
Publikation:
Michael Schönenberg, Eva Wiedemann, Alexander Schneidt, Jonathan Scheeff, Alexander Logemann, Philipp M. Keune, Martin Hautzinger: Neurofeedback, sham neurofeedback, and cognitive-behavioural group therapy in adults with attention-deficit hyperactivity disorder: a triple-blind, randomised, controlled trial. The Lancet Psychiatry, Published Online, August 9, 2017; http://dx.doi.org/10.1016/S2215-0366(17)30291-2
The Lancet Psychiatry Podcast: http://www.thelancet.com/journals/lanpsy/onlineFirst
Kontakt:
PD Dr. Michael Schönenberg (Derzeit am besten per Mail erreichbar) Universität Tübingen Abteilung für Klinische Psychologie Telefon: +49 7071 29-78355 michael.schoenenberg@uni-tuebingen.de
Krankheitserreger und Abfall beseitigen – das ist die Hauptaufgabe von Mikrogliazellen. Sie gehören zur Gruppe der Nicht-Nervenzellen im Gehirn, deren Aufgabe es ist, unsere Denkzellen bei der Arbeit zu unterstützen. Anders als bisher angenommen können die Fresszellen bei Mäusen genauso lange leben wie die Maus selbst. Das berichten Forscher am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, der Universität Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Tübingen in einer Online-Vorabveröffentlichung am 28. August auf der Webseite der Fachzeitschrift Nature Neuroscience. In ihrer Studie verfolgten die Wissenschaftler einzelne Mikrogliazellen über ihre gesamte Lebenspanne unter dem Mikroskop. Die unerwartet lange Lebenszeit gibt Hinweise auf weitere mögliche Aufgaben der bislang noch wenig erforschten Hirnzellen: „Ihre Langlebigkeit ermöglicht es ihnen, zu lernen und zu altern“, erklärt Studienleiter Professor Dr. Mathias Jucker. „Damit könnten sie ein Immungedächtnis ausbilden und zur Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen beitragen.“
Bislang ist unklar, ob Mikrogliazellen ein Gedächtnis für Krankheitserreger ausbilden können, wie es Immunzellen im restlichen Körper tun. Diese Funktion sorgt für eine schnellere und effizientere Aktivierung der Abwehrzellen bei einem Zweitkontakt. „Wenn Mikrogliazellen nur kurz leben würden, würde ein Immungedächtnis bei ihnen wenig Sinn ergeben. Jetzt, da wir wissen, dass das nicht der Fall ist, ist es gut vorstellbar“, sagt Dr. Angelos Skodras, der ebenfalls federführend an der Studie beteiligt war. Tatsächlich gibt es erste Anzeichen, dass eine frühe Anregung des Immunsystems im Gehirn die Aktivität der Mikrogliazellen dauerhaft verändert.
Darüber hinaus stehen Mikroglia bereits seit Längerem in Verdacht, eine Rolle bei der Entstehung altersbedingter neurologischer Erkrankungen zu spielen. „Eine erstaunliche Erkenntnis der letzten Jahre ist, dass fast alle Risikofaktoren für die Alzheimererkrankung Veränderungen in Genen sind, die in Mikrogliazellen aktiv sind“, so Jucker. Wie die Zellen zur Krankheitsentwicklung beitragen können, ist noch unklar. „Der Alterungsprozess dieser Mikroglia könnte dabei von Bedeutung sein – und hierfür ist eine allgemein lange Lebensdauer dieser Hirnzellen die Voraussetzung.“
Die Anzahl der Mikrogliazellen ist im gesunden Gehirn immer etwa gleich. Bislang war in der Wissenschaft aber umstritten, ob es sich bei Mikroglia um kurzlebige Zellen handelt, die sich rasch teilen und erneuern oder um sich selten teilende, langlebige Zellen handelt. Bisherige Studien erlaubten nur indirekte Antworten oder führten zu widersprüchlichen Ergebnissen. Die Tübinger Hirnforscher beschlossen daher, der Frage auf den Grund zu gehen. Dafür markierte Erstautorin Dr. Petra Füger gezielt einzelne Mikrogliazellen in Mäusen und beobachteten die Zellen im Zeitverlauf unter dem 2-Photonen-Mikroskop. „Das Ergebnis unserer Untersuchung war völlig offen. In unserer Abteilung hatten wir eine Wette laufen. Die einzelnen Vorhersagen reichten von einigen Monaten bis zu mehr als einem Jahr“, berichtet Jucker. Tatsächlich zeigte die Hälfte der untersuchten Zellen eine errechnete Lebensdauer von bis zu 28 Monaten, was einem ganzen Mäuseleben entspricht. „Mit unserer Studie konnten wir den grundsätzlichen Beweis für die Langlebigkeit von Mikroglia erbringen“, so die Autoren.
Originalpublikation:
Füger et al. (2017): Microglia turnover with aging and in an Alzheimer´s model via long-term in vivo single-cell imaging. Nature Neuroscience, Online Vorabveröffentlichung am 28.08.2017 doi: 10.1038/nn.4631
Kontakt:
Prof. Dr. Mathias Jucker Hertie-Institut für klinische Hirnforschung Universität Tübingen Telefon +49 7071 29- 86863 mathias.jucker[at]uni-tuebingen.de
Im Spitzensport wird wesentlich mehr gedopt, als durch Blut- und Urintests nachgewiesen werden kann. Bei einer wissenschaftlichen Studie gaben mindestens 30 Prozent der Teilnehmenden der Leichtathletikweltmeisterschaft 2011 und 45 Prozent Sportler bei den Pan-Arabischen Spielen 2011 an, Dopingmittel genommen zu haben. Mit zeitgleich durchgeführten biologischen Testverfahren wurde nur ein Bruchteil der Dopingfälle erkannt: 0,5 Prozent der Tests bei den Weltmeisterschaften waren positiv; bei den Pan-Arabischen Spielen waren es 3,6 Prozent. Im Auftrag der World Anti Doping Agency (WADA) haben Professor Rolf Ulrich von der Universität Tübingen und Professor Harrison Pope von der Harvard Medical School im Jahr 2011 eine Untersuchung durchgeführt. Die Ergebnisse der repräsentativen Studie „Doping in Two Elite Athletics Competitions Assessed by Randomized-Response Surveys“ wurden nun in der Zeitschrift Sports Medicine veröffentlicht. Im Anhang der Publikation sind außerdem detaillierte statistische und mathematische Analysen aufgeführt, die die Aussagekraft der Studie untermauern.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten bei den Leichtathletikweltmeisterschaften in Daegu (Südkorea) und den Pan-Arabischen Spielen in Doha (Qatar) insgesamt 2.167 Teilnehmende befragt, ob sie vor den Wettkämpfen gedopt hätten. Insgesamt traten bei beiden Veranstaltungen 5.187 Sportlerinnen und Sportler an. Eine indirekte Fragemethode, die sogenannte „Randomisierte Antworttechnik“ gewährleistete die Anonymität der Befragten – sie konnten also ehrlich antworten und mussten keine negativen Konsequenzen fürchten.
„Die indirekte Fragemethode wird bei sensiblen Themen angewendet. In einer direkten Frage-Antwort-Situation würden die Probanden sozial erwünschte und eventuell falsche Antworten liefern. Die Anonymität gibt Schutz und sie können ehrlich antworten“ erklärt Professor Rolf Ulrich das Vorgehen. Er ist Leiter des Arbeitsbereiches Kognition und Wahrnehmung im Fachbereich Psychologie an der Universität Tübingen.
Für die Studie wurde die indirekte Fragemethode erstmals bei zwei großen internationalen Sportwettkämpfen eingesetzt. Sechs Interviewerinnen und Interviewer, die gemeinsam zehn Sprachen beherrschten, waren vor Ort und baten 2.320 Athletinnen und Athleten persönlich um deren Teilnahme. Über 90 Prozent erklärten sich dazu bereit. Auf einem Tablet-Computer sollten die Sportlerinnen und Sportler eine von zwei Fragen beantworten: entweder eine unverfängliche über einen Geburtstag oder ob sie in den zwölf Monaten davor gedopt haben. Wenn der Athlet oder die Athletin also mit „Ja“ antwortete, konnten kein Außenstehender beurteilen, welcher Frage diese Antwort halt. Der Zufall entschied darüber, welche der beiden Fragen sie beantworteten sollten. Auf diese Weise war die Anonymität der Sportlerinnen und Sportler garantiert.
Obwohl die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die individuellen Antworten nicht wussten, konnten sie mit Methoden der mathematischen Statistik näherungsweise berechnen, wie viele Teilnehmende die Dopingfrage mit „Ja“ beantwortet hatten. Sie berücksichtigten dabei verschiedene Szenarien, die eine falsche Antwort hervorgerufen haben könnten. Beispielsweise wurden die schnellsten Antworten nicht mit eingerechnet, weil die Befragten den Text möglicherweise nicht gründlich gelesen hatten.
„Die Studie macht deutlich, dass durch biologische Tests von Blut- und Urinproben bei weitem nicht alle Dopingfälle aufgedeckt werden“ betont Pope, Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School. „Wie in der Publikation beschrieben liegt das vermutlich daran, dass die Athletinnen und Athleten zahlreiche Wege gefunden zu haben, bei Tests nicht aufzufallen.“
Besonders die Tests unmittelbar vor und während eines Wettkampfes fielen pro Jahr durchschnittlich nur zu ein bis drei Prozent positiv aus. Dopingmittel seien zu diesem Zeitpunkt oft nicht mehr biologisch nachweisbar, weil sie lange vorher eingenommen würden. Eine höhere Aufklärungsquote mit etwa 14 Prozent biete der sogenannte „Biologische Pass“: Er dokumentiere medizinische Daten der Sportlerinnen und Sportler. In der Langzeitdokumentation fielen Abweichungen auf, die durch Dopingmissbrauch verursacht werden können. Als Dopingmittel gelten alle Hilfsmittel, die die WADA auf der „Liste der verbotenen Substanzen und Methoden“ führt.
Dass die aktuelle Publikation von Rolf Ulrich und Harrison Pope und weiteren Autoren nach einem langwierigen Freigabeverfahren erscheinen kann, ist auch ein Verdienst von Professor Georg Sandberger, Jurist und ehemaliger Kanzler der Universität Tübingen. Er vertrat die Wissenschaftler gegenüber der WADA und dem Weltleichtathletikverband (IAAF), um die zwischen WADA und den beteiligten Wissenschaftlern vereinbarte Zustimmung der WADA zu einer Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in einer Fachzeitschrift zu erreichen. Die Studie wurde bereits 2015 ohne Veranlassung seitens der Autoren von Medien aufgegriffen, als systematisches Doping in der russischen Leichtathletik bekannt wurde. Daraufhin veranlasste das Komitee für Kultur, Medien und Sport im britischen Parlament eine Anhörung, in deren Verlauf Teile der Studie ohne Zustimmung der Autoren an die Öffentlichkeit gelangten.
Die Veröffentlichung der gesamten wissenschaftlichen Studie und der detaillierten Daten könnte weitere Forschungen zu Doping im Profisport anregen, hoffen die Autoren. „Die Studie kann eine konstruktive Debatte vor allem aber neue Strategien für die Eindämmung von Dopingmissbrauch anstoßen. Indirekte Fragemethoden wie die ‚Randomisierte Antwortmethode‘ sind ein guter Ansatz, um fundierte Aussagen über die tatsächliche Verbreitung von Doping treffen zu können“, so Ulrich.
Publikation:
Rolf Ulrich, Harrison G. Pope Jr., Léa Cléret, Andrea Petróczi, Tamás Nepusz, Jay Schaffer, Gen Kanayama, R. Dawn Comstock, Perikles Simon: Doping in Two Elite Athletics Competitions Assessed by Randomized-Response Surveys. In: Sports Medicine. DOI 10.1007/s40279-017-0765-4, https://link.springer.com/article/10.1007/s40279-017-0765-4
Kontakt:
Prof. Dr. Rolf Ulrich Universität Tübingen Fachbereich Psychologie Arbeitsbereich Kognition und Wahrnehmung Telefon: +49 7071 29-72410 rolf.ulrich@uni-tuebingen.de
Prof. Dr. Harrison Pope Jr. Harvard Medical School McLean Hospital Telefon: +1 617 855-2911 hpope@mclean.harvard.edu
Bei bestimmten Parkinsonformen könnte ein Diabetesmedikament helfen, berichten Tübinger Hirnforscher um Dr. Julia Fitzgerald am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, der Universität Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Tübingen in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Brain. Die Neurowissenschaftler identifizierten ein Eiweiß, das eine wichtige Rolle im Energiehaushalt von Zellen spielt. Fehlt dieses Protein, ist der Energiehaushalt nachhaltig gestört. Dies kann zum Zelltod und letztendlich zum Ausbruch der Parkinson-Krankheit führen. Bei der Erkrankung sterben Nervenzellen in einem Gehirnbereich ab, der Bewegungen kontrolliert. Anhand von Zellkulturen zeigten die Forscher, dass das Diabetesmedikament Metformin in den Energiehaushalt eingreift und so die Zellen schützt.
„Wir haben Zellen eines an Parkinson erkrankten Patienten untersucht und gesehen, dass ein wichtiges Protein fehlt, welches die Energiegewinnung in den Mitochondrien reguliert“, erklärt Dr. Julia Fitzgerald. Die Folge: Unabhängig vom tatsächlichen Verbrauch produzieren die Zellen in ihren Kraftwerken, den Mitochondrien, durchgängig Energie. Dabei entsteht jedoch auch ein Übermaß an freien Sauerstoffradikalen. Sie schädigen die Zelle und führen langfristig zu Zellalterung und Tod. „Das Diabetesmedikament wirkt hier wie eine Bremse. Es verlangsamt die Bildung von Energie und Sauerstoffradikalen und schützt die Zellen so vor negativen Auswirkungen“, berichtet die Forscherin.
Die Studie der Tübinger Neurowissenschaftler gibt einen weiteren Hinweis, dass Diabetesmedikamente positiven Einfluss bei bestimmten Parkinsonformen zu haben scheinen. „Erst vor kurzem zeigte eine englisch-amerikanische Forschungskooperation, dass ein anderes Medikament Bewegungsstörungen bei Parkinsonpatienten vermindern kann“, sagt Fitzgerald. Die neuen Erkenntnisse tragen zur Entwicklung einer individualisierten Medizin bei. Mit ihr möchten Mediziner in Zukunft zielgerichtet den zugrundeliegenden individuellen Krankheitsauslöser beim Patienten therapieren. Bei der Entstehung von Parkinson spielen sowohl eine erbliche Veranlagung als auch Umwelteinflüsse eine Rolle. „Die Ursache variiert letztendlich von Person zu Person“, sagt Fitzgerald. „Langfristig kommt unsere Studie Patienten zugute, bei denen eine fehlerhafte Energiegewinnung in den Zellen zur Krankheit führt.“ Aktuell gibt es bei Parkinson keine Medikamente, die den Krankheitsprozess aufhalten oder verlangsamen können. Ärzte können lediglich die Symptome behandeln. Weltweit sind rund zehn Millionen Menschen von der Erkrankung betroffen.
Originalpublikation
Fitzgerald et al. (2017): Metformin reverses TRAP1 mutation-associated alterations in mitochondrial function in Parkinson’s disease. Brain 140(9), pp 2444–2459. doi: 10.1093/brain/awx202
Kontakt
Dr. Julia Fitzgerald Hertie-Institut für klinische Hirnforschung Universität Tübingen Telefon +49 7071 29- 87616 julia.fitzgerald@uni-tuebingen.de
Pressemitteilung der Ludwig-Maximilians-Universität München
Am Ende der Steinzeit und in der frühen Bronzezeit wurden Familien im Lechtal, südlich von Augsburg, auf überraschende Weise gegründet: Die Mehrheit der Frauen kam aus der Fremde, wohl aus Böhmen oder Mitteldeutschland, während die Männer zumeist aus der Region stammten. Dieses sogenannte patrilokale Muster verbunden mit individueller weiblicher Mobilität war dabei kein vorübergehendes Phänomen: Es lässt sich am Übergang von der Kupfersteinzeit zur Frühen Bronzezeit über einen Zeitraum von 800 Jahren nachweisen. Das zeigen archäologische Auswertungen im Rahmen eines Forschungsverbunds unter der Leitung von Philipp Stockhammer vom Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der LMU und naturwissenschaftliche Analysen unter der Leitung von Corina Knipper vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie sowie Alissa Mittnik und Johannes Krause am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und der Universität Tübingen. Die Ergebnisse sind aktuell in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht. „Individuelle Mobilität hat das Leben der Menschen in Mitteleuropa bereits im dritten und frühen zweiten Jahrtausend stark geprägt“, sagt Philipp Stockhammer. Die Forscher vermuten, dass sie eine wesentliche Rolle für den Austausch von Kulturgütern und Ideen spielte, der in der Bronzezeit deutlich zunahm, was wiederum die Entwicklung neuer Technologien förderte.
Zu dieser Zeit lebten in Süddeutschland Ackerbauern und Viehzüchter, deren Vorfahren etwa 3000 Jahre zuvor über das Karpatenbecken aus Anatolien und Syrien eingewandert waren. Im Rahmen der Untersuchung wurden seit dem Jahr 2012 die menschlichen Überreste von 84 Individuen genetisch und mittels Isotopenanalysen untersucht und archäologisch ausgewertet. Sie waren zwischen 2500 und 1650 vor Christus in Gräberfeldern bestattet worden, die jeweils zu einem einzelnen Gehöft gehörten und zwischen einer und mehreren Dutzend Bestattungen über einen Zeitraum mehrerer Generationen aufwiesen. „Die Gehöfte reihten sich entlang einem fruchtbaren Lössrücken in der Mitte des Lechtals. Größere Dörfer gab es zu dieser Zeit im Lechtal nicht“, sagt Stockhammer.
„Die genetischen Analysen zeigen eine große Diversität weiblicher Linien, das deutet darauf hin, dass mit der Zeit zahlreiche Frauen aus der Fremde kamen“, sagt Alissa Mittnik. Corina Knipper ergänzt: „Anhand der Analyse von Strontium-Isotopenverhältnissen in Backenzähnen, die Rückschlüsse auf die Herkunft der Personen erlauben, konnten wir feststellen, dass die Mehrheit der Frauen nicht aus der Region stammte.“ Die Art ihrer Beisetzung, die sich nicht von der Einheimischer unterschied, zeigt zudem, dass die Frauen in die lokale Gemeinschaft integriert waren.
Aus archäologischer Sicht belegen die neuen Erkenntnisse die Bedeutung weiblicher Mobilität für den kulturellen Austausch in der Bronzezeit. Zudem ermöglichen sie einen neuen Blick auf den immensen Umfang früher menschlicher Mobilität: „Es scheint, dass zumindest ein Teil dessen, was bislang als Migration von Gruppen bewertet wird, auf einer institutionalisierten Form von Mobilität Einzelner beruht“, sagt Stockhammer. (PNAS 2017)
Zur Pressemitteilung der Ludwig-Maximilians-Universität München: http://www.uni-muenchen.de/forschung/news/2017/stockhammer_lechtal.html
Publikation:
Corina Knipper, Alissa Mittnik, Ken Massy, Catharina Kociumaka, Isil Kucukkalipci, Michael Maus, Fabian Wittenborn, Stephanie E. Metz, Anja Staskiewicz, Johannes Krause, Philipp W. Stockhammer: Female exogamy and gene pool diversification at the transition from the Final Neolithic to the Early Bronze Age in Central Europe. PNAS, DOI: 10.1073/pnas.1518445113 2017
Kontakt:
Prof. Dr. Johannes Krause, Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und Universität Tübingen Tel.:+49 3641 686-600 krause@shh.mpg.de
Eine neue und besonders zuverlässige Methode zur Markierung von Zellen kann Forschungen zu Krankheiten wie Herzinfarkt, Diabetes oder Alzheimer vereinfachen und den Einsatz von Versuchstieren reduzieren: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Tübingen haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie bestimmte Zelltypen in Mäusen gezielt markieren und ihr Verhalten durch Positronen-Emissions-Tomografie (PET) verfolgen können. Mit dem „PET-basierten Cell Tracking“ kann man komplexe Lebensprozesse im Körper beobachten, ohne die Versuchstiere mit invasiven Methoden zu belasten.
„Die Möglichkeit, das Verhalten ausgewählter Zellpopulationen im lebenden Tier nichtinvasiv und in Aktion zu beobachten, eröffnet neue Wege für die Erforschung, Erkennung und Behandlung von Krankheiten. Gleichzeitig reduziert sie die Belastung und Anzahl der Versuchstiere gegenüber bisherigen Methoden“, erklärt Professor Robert Feil. Er und sein Team vom Interfakultären Institut für Biochemie (IFIB) der Universität Tübingen führten die Studie gemeinsam mit dem Werner Siemens Imaging Center und den Abteilungen für Kardiologie, Pathologie und Physiologie des Universitätsklinikums Tübingen sowie der Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Münster durch. Ihre Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Gewebe und Organe bestehen aus vielen verschiedenen Zelltypen, wie Blut-, Knochen-, Leber-, Muskel- oder Nervenzellen. Die Wanderung und/oder Veränderung der Anzahl bestimmter Zelltypen ist ein normaler Körperprozess, aber auch Merkmal zahlreicher Krankheiten. Zum Beispiel führt die Vermehrung und Migration von Immunzellen zu Entzündungen, unkontrolliertes Zellwachstum löst Krebs oder Arteriosklerose aus und der Verlust bestimmter Zellpopulationen ist die Ursache für Diabetes mellitus oder Alzheimer-Demenz. Diese Vorgänge beruhen auf komplexen Interaktionen verschiedenster Zelltypen. Um sie zu verstehen, muss der gesamte Organismus in den Blick genommen werden.
Die neue Methode „PET-basiertes Cell Tracking“ beruht auf einem künstlichen PET-Reporter-Enzym, das durch einen genetischen Trick in jedem Zelltyp der Maus gebildet werden kann (beispielsweise nur in T-Zellen des Immunsystems). Das Enzym bewirkt, dass sich in diesen spezifischen Zellen eine radioaktive Substanz, der sogenannte PET-Tracer, ansammelt. Die für das Tier ungefährliche radioaktive Strahlung wird in einem Positronen-Emissions-Tomografen erkannt und am Bildschirm sichtbar gemacht. Die PET wird schon lange auch bei Menschen eingesetzt. Als nichtinvasives Verfahren belastet sie den Organismus weniger als viele andere Untersuchungsmöglichkeiten.
Zur Analyse des Zellverhaltens in Mäusen wurden bisher meist Verfahren verwendet, die nur für wenige Zelltypen in Frage kamen, sehr belastende Untersuchungen nötig machten oder die Tötung der Versuchstiere erforderten. „Durch den Einsatz moderner Bildgebungsmethoden können wir eine Verringerung der Versuchstierzahl um bis zu 80 Prozent erreichen“, sagt Dr. Martin Thunemann, Erstautor der Studie, der mittlerweile an der University of California in San Diego forscht. „Die markierten Zellpopulationen können mit unserer Methode nichtinvasiv in lebenden Mäusen über viele Wochen verfolgt werden, sodass die gleiche Gruppe von Tieren wiederholt untersucht werden kann.“ In der Studie markierten die Autoren Blutplättchen, Herzmuskelzellen oder T-Zellen in Versuchsmäusen und verfolgten dann ihr Verhalten bei Herzinfarkt oder Entzündungsreaktionen.
Das neu entwickelte bildgebende Reportersystem könne zur Darstellung jedes beliebigen Zelltyps verwendet und mit beliebigen Krankheitsmodellen kombiniert werden, erklärt Feil. Es komme daher für viele Anwendungen in der biomedizinischen Grundlagenforschung sowie zur Untersuchung von Krankheiten in Frage. „Denkbar ist unter anderem die nichtinvasive Analyse von Herzkrankheiten, Diabetes, Entzündungen sowie Tumorbildung und Metastasierung. Außerdem könnte man in der regenerativen Medizin die Entwicklung transplantierter Zellen verfolgen. Auch für die Pharmaindustrie ist die Technik interessant, um neue Wirkstoffe und Behandlungsmethoden zu testen.“
Die Arbeit der Forscherinnen und Forscher zum „PET-basiertem Cell Tracking“ passt sich in die „Tübinger Grundsätze zu Tierschutz und Tierversuchen“ ein. In ihnen legt die Universität verbindliche Regeln und Zielvorgaben für einen verantwortungsvollen Umgang mit Tierversuchen fest und fördert die Forschung an neuen Methoden. Auch wenn die Alternativen inzwischen erheblich verbessert wurden, können die Lebenswissenschaften in absehbarer Zeit nicht vollständig auf Tierversuche verzichten. Für die Forschung am komplexen Zusammenspiel von Zellen, Geweben und Organen im Gesamtorganismus sowie an neuen Wirkstoffen und Behandlungsmethoden werden weiterhin Tierversuche notwendig sein. Daher ist es wichtig, die Untersuchungsmethoden so zu optimieren, dass die Anzahl und Belastung der Versuchstiere verringert wird. Es müssen Verfahren entwickelt werden, die die Quantität und Qualität der pro Tier erhobenen Daten erhöhen und deren Ergebnisse leicht auf den Menschen übertragbar sind.
Bilder: Robert Feil und Bernd Pichler / Universität Tübingen
Mithilfe eines PET-Gerätes können die markierten Zellen auf dem Bildschirm sichtbar gemacht werden. Foto: Christoph Reichelt / Universität Tübingen
Publikation:
Thunemann M, Schörg BF, Feil S, Lin Y, Voelkl J, Golla M, Vachaviolos A, Kohlhofer U, Quintanilla-Martinez L, Olbrich M, Ehrlichmann W, Reischl G, Griessinger CM, Langer HF, Gawaz M, Lang F, Schäfers M, Kneilling M, Pichler BJ, Feil R. Cre/lox-assisted non-invasive in vivo tracking of specific cell populations by positron emission tomography. Nature Communications. 2017; DOI: 10.1038/s41467-017-00482-y, http://dx.doi.org/
Die Tübinger Grundsätze zu Tierschutz und Tierversuchen:
https://www.uni-tuebingen.de/forschung/informationen-zu-tierversuchen/tuebinger-grundsaetze-zu-tierschutz-und-tierversuchen.html
Kontakt:
Prof. Dr. Robert Feil
Universität Tübingen
Interfakultäres Institut für Biochemie
Telefon +49 7071 29-73350
robert.feil@uni-tuebingen.de
Dr. Chang Liu, Nachwuchs-forschungsgruppenleiter am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen der Universität Tübingen, hat einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) eingeworben. Sein Forschungsprojekt in der Genetik „Chromatin Packing and Architectural Proteins in Plants“ (CHROMATADS) – Verpackungs- und Gerüstproteine des Chromatins in Pflanzen – wird in den kommenden fünf Jahren mit knapp 1,5 Millionen Euro gefördert. Der ERC, die Forschungsfördereinrichtung der Europäischen Union, vergibt Starting Grants an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit mehrjähriger Erfahrung nach der Promotion. Auswahlkriterien sind wissenschaftliche Exzellenz des Forschers und das innovative Potenzial der Forschungsidee.
Wenn man die DNA aus dem Kern einer Pflanzenzelle der Länge nach hinlegen würde, wäre sie mehrere Meter lang. Tatsächlich ist sie aber so eng gefaltet und gepackt, dass sie in den Kern mit einem Durchmesser von wenigen Mikrometern passt – das sind millionstel Meter. Die gepackte DNA, die mit weiteren Molekülen wie zum Beispiel Proteinen und RNAs assoziiert ist, nennt man Chromatin. In der lebenden Zelle hat das Chromatin bei genauerem Hinsehen eine dreidimensionale organisierte Struktur: Während einige Regionen sehr eng gepackt sind, liegen andere locker und sind für Regulationsfaktoren zugänglich. Einige Regionen sind an andere, zum Teil auf dem DNA-Strang weit entfernte Gegenstücke angelagert. „Diese Struktur bestimmt, welche Gene gerade aktiv sind und abgelesen werden, was wiederum entscheidend für die Zellfunktionen ist“, erklärt Chang Liu. An tierischen Zellen seien diese Vorgänge bereits weitergehend erforscht. „Bei Pflanzenzellen ist noch wenig bekannt. Das liegt auch daran, dass die pflanzenspezifischen Faktoren, die das Chromatin falten und strukturieren, nicht so gut erforscht sind.“
In seinem Projekt CHROMATADS möchte Liu diese Wissenslücken schließen. Er arbeitet mit Hightech-Methoden an der Schnittstelle von Molekularbiologie und Informatik. Das Forschungsgebiet verspricht neue Erkenntnisse in der funktionellen Pflanzengenomik, über die Chromatinstruktur und die Regulierung der Transkription, der Ablesung der Gene, in Pflanzenzellen. „Dies ist auch ein kritischer Schritt bei der gentechnischen Veränderung von Nutzpflanzen, von denen neue im landwirtschaftlichen Anbau stabile Sorten hergestellt werden sollen“, sagt Liu.
Chang Liu hat an der National University of Singapore Biowissenschaften studiert und dort 2010 auch seine Promotion abgeschlossen über Pflanzengene, die den Zeitpunkt und die Entwicklung der Blüte regulieren. Nach zwei weiteren Jahren als Postdoktorand am Temasek Life Sciences Laboratory in Singapur ging Liu mit einem Stipendium im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen der Europäischen Union von 2012 bis 2015 an das Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie. Seit September 2015 leitet der Pflanzengenetiker am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen der Universität Tübingen eine eigene Forschungsgruppe.
Kontakt:
Dr. Chang Liu Universität Tübingen Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP) Telefon +49 7071 29-74608 chang.liu@zmbp.uni-tuebingen.de
Am 17. September 2017 startet der 24. Tübinger Erbe-Lauf. Er wird auch dieses Jahr von Studierenden des Instituts für Sportwissenschaft (IfS) im Projektseminar „Sport konzipieren, organisieren und evaluieren“ organisiert. Für Andreas Dietrich (Institut für Sportwissenschaft), Marc Oßwald (KOKO & DTK Entertainment GmbH) und Dieter Baumann (LAV Stadtwerke Tübingen) wird dies der letzte Erbe-Lauf als Projektleiter sein: Ab dem Jahr 2018 wird die Stelle einer neuen Projektleitung am IfS eingerichtet und von der Erbe Elektromedizin GmbH finanziert.
Der Erbe-Lauf 2017 führt wieder von der Mensa Wilhelmstraße über den Stadtgraben durch den Fahrradtunnel zum Anlagensee und über die Mühlstraße zurück zum Zieleinlauf an der Neuen Aula. Mitmachen können sowohl ambitionierte Sportler als auch Einsteiger. Für letztere sind die Startbedingungen nun noch günstiger: Im neuen, 3,3 Kilometer langen „Jeder kann-Run“ kommen alle als Sieger an ‒ es gibt eine Einzelwertung aber keine Siegerehrung.
Für alle anderen erwachsenen Läuferinnen und Läufer führt – wie in den vergangenen Jahren – der 1. und 2. Erbe-Lauf über eine zehn Kilometer-Strecke durch Tübingen, jeweils mit unterschiedlichen Zeitvorgaben. Im Volksbank-Schülerlauf „Gemeinsam gewinnt“ laufen Teilnehmer bis zu zehn Jahren eine Strecke von 700 Metern, Teilnehmer bis zu 12 Jahren 1500 Meter und Teilnehmer bis zu 14 und 16 Jahren 3300 Meter. Die BG Handbike Challenge „Bring was ins Rollen“ findet dieses Jahr zum zweiten Mal statt: Bei dem Rennen mit Fahrrädern, die durch die Arme angetrieben werden (Adaptivbike und Rennbike), messen sich Teilnehmer mit Handicap auf einer Strecke von ca. 3,3 Kilometern.
Rund 250 ehrenamtliche Helfer werden zum Erbe-Lauf im Einsatz sein. Auch dieses Jahr steht von 10 bis 15 Uhr ein Bus-Shuttle des Team-Partners Mey Generalbau zwischen der Universitätssporthalle Alberstraße 27 (Umkleide und Duschen) und Mensa Wilhelmstraße zur Verfügung. Bislang haben sich 1550 Läufer angemeldet, davon gehen 160 Teams im Firmenlauf an den Start. Im Volksbank-Schülerlauf hatten sich bis zum Montag 700 Nachwuchsläufer angemeldet. Aus Universität und Universitätsklinikum Tübingen laufen insgesamt 40 Teams um den Titel „Die schnellsten Denker“. Zudem gibt es Auszeichnungen sowohl für das schnellste als auch für das Team mit den meisten Köpfen. Für das BG Handbike Challenge gehen 16 Teilnehmer an den Start. Nachmeldungen sind noch am Samstag, den 16. September, in der Mensa Wilhelmstraße von 10 bis 18 Uhr möglich. Beim „Jeder-kann-Run“ starten erstmalig 70 Läufer.
Als Sozialpartner sammeln die Martin-Bonhoeffer-Häuser der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe während der Veranstaltung Spenden. Sportler unterstützen das Projekt „Care Leaver – Wege in die Selbständigkeit“, indem sie durch das Spendentor in der Mühlstraße laufen. Pro durchlaufene Runde gehen fünf Euro an den diesjährigen Sozialpartner, möglich sind in drei Runden bis zu 15 Euro pro Person.
Die Studierenden des Bachelorstudiengangs „Sportwissenschaft mit den Schwerpunkten Sportmanagement, Gesundheitsförderung und Sportpublizistik“ lernen im zweisemestrigen Projektseminar, was es bei der Konzeption, Vorbereitung und Durchführung sportlicher Veranstaltungen zu beachten gilt. Sie verhandeln unter anderem mit Wirtschaftspartnern, betreiben Online-Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, erstellen das Programmheft und koordinieren die Logistik der Großveranstaltung sowie das Wettkampfbüro und alle zeitlichen Abläufe.
Alle Informationen unter www.tuebinger-Erbe-Lauf.de
Kontakt:
Andreas Dietrich, Projektleitung 24. Tübinger Erbe-Lauf 2017 Universität Tübingen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät Institut für Sportwissenschaft Telefon +49 7071 29-78411 a.dietrich[at]uni-tuebingen.de
Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), der Universität Tübingen, der amerikanischen Cornell University und des Deutschen Biomasseforschungszentrums (DBFZ) zeigen, dass durch die Kombination von mikrobieller und elektrochemischer Stoffumwandlung aus Biomasse hochwertige Produkte entstehen können. In ihrem Experiment nutzten die Forscher ein Abfallprodukt der Bioethanolherstellung und Maissilage, um Alkane mit hoher Energiedichte und dieselähnlichen Eigenschaften herzustellen. Die Arbeit wurde in Energy & Environmental Science, dem am höchsten klassifizierten Journal der Umweltwissenschaften veröffentlicht.
Ob Klimawandel, wachsende Nachfrage nach Ressourcen oder umweltbelastende Stoffströme – wir brauchen nicht nur eine Energiewende, sondern eine Kehrtwende hin zu einem produktorientierten und integrativen Umweltschutz. Kreisläufe müssen geschlossen werden, umweltschädliche Einsatzstoffe müssen durch ökologisch verträgliche ersetzt werden, der Verbrauch fossiler und anorganischer Rohstoffe muss reduziert werden. Eine Schlüsselrolle bei der Suche nach Lösungen spielen neue Verfahren der Biotechnologie.
Dazu zählt auch die bioelektrochemische Synthese, die von Chemiker Dr. Falk Harnisch und seiner Arbeitsgruppe am UFZ in Leipzig erforscht wird. Deren Ziel ist es, durch die Kombination von Mikrobiologie und Elektrochemie aus nachwachsenden Ressourcen und Abfallprodukten Energieträger und Chemikalien zu gewinnen. Harnisch ist überzeugt: “Durch die Kombination von mikrobieller und elektrochemischer Stoffumwandlung könnten zukünftig Bioelektroraffinerien entstehen, die Kraftstoffe, Energie und Chemikalien durch integrierte Biomassenutzung produzieren“.
In einer aktuellen Studie, die unter seiner Leitung und in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Tübingen, der Cornell University und des Deutschen Biomasseforschungszentrums entstanden ist, zeigen die Forscher, dass Biomasse in Alkane mit hoher Energiedichte und dieselähnlichen Eigenschaften überführt werden kann. So wurde auf der Basis von Corn beer, einem Abprodukt der Bioethanolherstellung aus Mais, im Laufe des kombinierten mikrobiologisch-elektrochemischen Prozesses bereits eine Biomasse/Kraftstoff-Ausbeute von 50 Prozent erreicht. Prof. Lars Angenent von der Universität Tübingen, ein Mitautor der Studie, hebt hervor: “Mit dem corn beer haben wir in diesem Experiment einen relativ hochwertigen Ausgangsstoff genutzt. Weiterführende Versuche zeigen uns jedoch deutlich, welch großes Potenzial in dem Verfahren steckt – sowohl im Hinblick auf die mögliche Vielfalt der Ausgangsstoffe und der erhaltenen Produkte als auch den gekoppelten Ablauf von Mikrobiologie und Elektrochemie.“ Denn während die mikrobielle Synthese kontinuierlich abläuft, kann die schnellere elektrochemische Stoffumwandlung Überschussstrom verarbeiten. Damit kann Kraftstoff als effektiver Speicher von elektrischer Energie dienen.
Falk Harnisch betrachtet diese Studie als ersten Schritt in der Verfahrensentwicklung. “Wir haben im Labormaßstab gezeigt, dass ein solcher Prozess durchführbar ist. Die Herausforderung ist nun, jeden Teilschritt zu optimieren und eine Skalierung entlang des gesamten Prozesses bis in den Pilotmaßstab durchzuführen. Dabei wird sich auch zeigen, inwiefern das Verfahren ökonomisch wettbewerbsfähig ist. Dies sei, so Harnisch, allerdings auch eine Frage der politischen Rahmenbedingungen zur Förderung von Mobilität.
Vereinfachte Darstellung des kombinierten mikrobiellen elektrochemischen Verfahrens zur Herstellung von drop-in Kraftstoff aus Biomasse. Copyright: UFZ / Carolin Urban und Falk Harnisch
Publikation:
Urban, C., Jiajie, X., Sträuber, H., dos Santos Dantas, T. R., Mühlenberg, J. Härtig, C., Angenent, L. T., Harnisch, F. (2017): Production of drop-in fuel from biomass at high selectivity by by combined microbial and electrochemical conversion. Energy & Environmental Science doi: 10.1039/C7EE01303E
Die Studie wurde gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (BMBF-Initiative „Nächste Generation biotechnologischer Verfahren - Biotechnologie 2020+"), die Helmholtz Gemeinschaft (Young Investigators Group & Research Program Renewable Energie) und das NSF SusChemProgram.
Kontakt:
Prof. Dr. Lars Angenent Universität Tübingen Zentrum für Angewandte Geowissenschaften Telefon +49-(0)7071-29-73153 l.angenent[at]uni-tuebingen.de
PD Dr. Falk Harnisch UFZ-Department Umweltmikrobiologie, Leiter der AG “Mikrobielle Bioelektrokatalyse und Bioelektrotechnologie“ E-Mail: falk.harnisch[at]ufz.de Phone: +49-(0)341-235-1337 http://www.ufz.de/index.php?en=31006
Der Theologe, Philosoph und Historiker Professor Heiner Bielefeldt wird für seine Verdienste um Menschenrechte und Religionsfreiheit mit dem „Alfons Auer Ethik-Preis“ der Universität Tübingen ausgezeichnet. Die Katholisch-Theologische Fakultät verleiht den Preis alle zwei Jahre an eine Persönlichkeit, die sich durch besonderes ethisches Engagement im religiösen, wissenschaftlichen und/oder gesellschaftlichen Bereich ausgezeichnet hat. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert und wurde 2015 vom Unternehmer Siegfried Weishaupt zum Gedenken an den Moraltheologen Alfons Auer gestiftet; am 14. November 2017 wird der Preis zum zweiten Mal verliehen.
Heiner Bielefeldt erhält die Auszeichnung „für sein Engagement für Menschenwürde und die Menschenrechte sowohl auf theoretischer wie auf praktischer Ebene. Er tritt ein für die Religionsfreiheit als Freiheitsrecht der einzelnen und fördert aktiv interkulturelle und interreligiöse Verständigung“, so die Begründung der Jury. In seinen Forschungen vereine er verschiedene Wissenschaftsdisziplinen, die für Menschenrechte relevant seien, wie Philosophie, Theologie, Rechtswissenschaft, Geschichte und Politikwissenschaft. Bemerkenswert sei außerdem sein Einsatz für die praktische Umsetzung von Menschenrechten und interkulturelle Verständigung, beispielsweise als UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit.
Die Universität Tübingen und Alfons Auer spielten in der Vergangenheit bereits eine Rolle für Heiner Bielefeldt: für die Preisverleihung kehrt er an seine Alma Mater zurück, wo er Anfang der 1980er Jahre noch persönlich bei Alfons Auer Vorlesungen über die autonome Moral hörte. 1981 erwarb Bielefeldt sein Diplom in katholischer Theologie; 1989 promovierte er im Fach Philosophie über Freiheitsrechte und politische Gerechtigkeit in der Neuzeit. Sein Doktorvater, der Tübinger Professor Johannes Schwartländer, inspirierte ihn zu seinem Lebensthema: die Menschenrechte als interdisziplinärer Forschungsbereich.
In seiner Habilitationsschrift über „Die Philosophie der Menschenrechte. Grundlagen eines weltweiten Freiheitsethos“ suchte er nach einer Begründung der Menschenwürde und Menschenrechte, die theoretisch fundiert und praktisch anwendbar ist. Anregungen dafür erhielt er aus seinem Engagement bei der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“. 2003 wurde er Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin. In dieser Position setzte er sich für die Einhaltung der Menschenrechte ein und war beratend und forschend als Vermittler zwischen Staat, Gesellschaft, Wissenschaft, sowie zwischen nationalen und internationalen Akteuren tätig. 2009 wurde er auf den Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg berufen. Parallel zu seiner Lehrtätigkeit war er von 2010 bis 2016 UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit. In dieser ehrenamtlichen Tätigkeit sprach er mit Vertretern von Regierungen, Organisationen und Kirchen sowie mit Gläubigen in der ganzen Welt und berichtete den Vereinten Nationen seine Einschätzungen in Sachen Religionsfreiheit.
Der Alfons Auer Ethik-Preis
Der Alfons Auer Ethik-Preis wurde 2015 erstmals von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen an den kanadischen Sozialphilosophen Professor Charles Taylor vergeben. Die Auszeichnung ist dem Tübinger Theologen Alfons Auer gewidmet und mit 25.000 Euro dotiert. Alfons Auer (1915-2005), geboren in Schwendi-Schönebürg, war Gründungsdirektor der Katholischen Akademie des Bistums Rottenburg-Stuttgart (1951-53), bevor er 1955 auf den Lehrstuhl für Moraltheologie an der Universität Würzburg berufen wurde. Von 1966 bis zu seiner Emeritierung 1981 war er Ordinarius für Moraltheologie an der Universität Tübingen.
Auer gilt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Moraltheologen des 20. Jahrhunderts, der sich um einen Dialog von Kirche und Welt im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils bemüht hat. Kennzeichnend für seinen ethischen Ansatz war die zentrale Stellung der menschlichen Vernunft in Fragen der christlichen Sittenlehre, die er in einer positiven Sicht von Mensch und Schöpfung verankerte.
Zum 100. Geburtstag von Alfons Auer im Jahr 2015 stiftete der Unternehmer Siegfried Weishaupt einen Preis. Weishaupt ist geschäftsführender Gesellschafter der Max Weishaupt GmbH. Das weltweit tätige Unternehmen mit 3000 Mitarbeitern und Hauptsitz im schwäbischen Schwendi wurde von seinem Vater Max Weishaupt, Ehrensenator der Universität Tübingen, gegründet. Seit mehr als 50 Jahren ist Siegfried Weishaupt zudem leidenschaftlicher Kunstsammler, die „Sammlung Siegfried und Jutta Weishaupt“ ist seit 2007 in der Kunsthalle Weishaupt in Ulm zu sehen.
Kontakt:
Prof. Dr. Matthias Möhring-Hesse Universität Tübingen Katholisch-Theologische Fakultät Theologische Ethik/Sozialethik Telefon: +49 7071 29-76976 matthias.moehring-hesse[at]uni-tuebingen.de
Die Universität Tübingen verleiht den Universitätspreis 2017 an den Unternehmer und Stiftungsgründer Professor h. c. Karl Schlecht. Rektor Professor Dr. Bernd Engler überreicht den Preis im Rahmen des Festakts zum Dies Universitatis am Mittwoch, den 18. Oktober 2017 (17 Uhr c. t., Alte Aula, Münzgasse 30). Die Laudatio hält Professor Dr. Dr. h c. Klaus Michael Leisinger, Präsident der Stiftung Globale Werte Allianz. Den Festvortrag hält Professor Dr. Helwig Schmidt-Glintzer, Direktor des China Centrums Tübingen.
Mit der Auszeichnung würdigt das Rektorat das Engagement Karl Schlechts für universitäre Forschung und Lehre in Tübingen, insbesondere zum Thema „universelle ethische Normen und Prinzipien“. So gründete die Stiftung des Unternehmers 2012 gemeinsam mit der Weltethos-Stiftung und der Universität das Weltethos-Institut Tübingen. Als An-Institut der Universität fördert dieses in Forschung, Lehre und öffentlichen Veranstaltungen moralisches Handeln in der globalen Wirtschaft und den Dialog der Kulturen (www.weltethos-institut.org). Die Karl Schlecht Stiftung ist auch Trägerin eines ebenfalls 2012 eröffneten Weltethos-Schwesterinstituts an der Universität Peking.
Ebenfalls dank Unterstützung der Karl Schlecht Stiftung forscht seit 2016 das China-Centrum an der Universität Tübingen (CCT). Es soll den interkulturellen Dialog zwischen Deutschland und China befördern sowie das wechselseitige Verständnis der unterschiedlichen Kulturkreise und Wertehorizonte verbessern. Das CCT setzt sich unter anderem für eine wissenschaftsgeleitete Auseinandersetzung mit dem chinesischen Wirtschaftssystem und für die Einführung des Schulfachs Chinesisch ein. (http://www.uni-tuebingen.de/de/74166)
Der Diplom-Ingenieur und Professor h. c. Karl Schlecht (geb. 1932 in Filderstadt-Bernhausen) ist Gründer des Betonpumpenherstellers „Putzmeister AG“ in Aichtal. 1998 gründete er die gemeinnützige Karl Schlecht Stiftung: In zahlreichen Projekten und Partnerschaften unterstützt diese die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen und angehender Führungskräfte. Ziel ist es, mit der Vermittlung humanistischer Werte die Führung in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu verbessern („Good Leadership“) und ein ethisches Bewusstsein in der Wirtschaft zu verankern. In diesem Rahmen will die Stiftung auch Impulse für die universitäre Forschung und Lehre geben. (www.karlschlechtstiftung.de)
Der Universitätspreis wird seit 2008 vergeben. Die Universität Tübingen ehrt damit herausragende Freunde, Förderer, Stifter, Sponsoren und langjährige Kooperationspartner, die durch ihr besonderes Engagement die Forschung und die Lehre an der Hochschule unterstützen.
Kontakt:
Simona Steeger
Universität Tübingen Hochschulkommunikation Telefon +49 7071 29-77825 simona.steeger@uni-tuebingen.de
Motorproteine treiben als molekulare Maschinen viele lebenswichtige Prozesse in unseren Zellen an: Dabei bewegen sie sich „tanzenderweise“ fort, wie Professor Erik Schäffer und sein Team vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP) der Universität Tübingen nun in einer Studie zeigen. Um die winzigen Proteine auf der Größenskala von Nanometern, also einem Millionstel Millimeter, verfolgen zu können, nutzte er eine selbstentwickelte optische Pinzette. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachmagazin PNAS veröffentlicht.
Motorproteine, wie beispielsweise das Kinesin, sind die treibende Kraft für Prozesse in unseren Zellen: Beispielsweise ziehen sie bei der Zellteilung Chromosomen ‒ das Erbgut ‒ mechanisch auseinander oder sie transportieren „Pakete“ innerhalb der Zelle von A nach B, entlang winziger 13-spuriger „Autobahnen“, genannt Miktrotubuli. Mit einer Länge von etwa 60 Nanometern sind diese Motorproteine mit bloßem Auge nicht sichtbar, doch ihre Auswirkung ist enorm: Funktioniert beispielsweise der Transport in Nervenzellen nicht mehr, kann dies unter anderem zu neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer führen. Wie sich diese Motoren entlang der Mikrotubuli bewegen ist deshalb eine grundlegende, biologische Fragestellung. Aufschlüsse zu ihrer Funktion könnten wichtig für die Entwicklung von Medikamenten gegen neurodegenerative Erkrankungen oder ungewollte Zellteilung wie bei Krebs sein.
Der Biophysiker Erik Schäffer hat ein neues Mikroskop entwickelt, eine optische Pinzette mit Rotationssensor, mit dem gleichzeitig die Fortbewegungen wie auch die Drehung der nanoskaligen Motoren gemessen werden kann. Nach derzeitigen Erkenntnissen hat das Kinesin zwei „Füße“, die es in acht Nanometer großen Schritten einen vor den anderen setzt, um sich vorwärts zu bewegen ‒ ähnlich wie beim menschlichen Gang. Die neuen Messungen zeigen nun, dass es sich dabei nicht nur vorwärts bewegt, sondern auch noch dreht, ähnlich wie bei einem Wiener Walzer: Es macht mit jedem Schritt eine halbe Drehung und dreht in einer Rotationsbewegung sich selbst und die zu transportierenden „Pakete“ immer in die gleiche Richtung weiter.
Welche Auswirkung diese Art der Fortbewegung auf den Transport und die Zellteilung hat, wollen die Wissenschaftler in weiteren Studien untersuchen.
Publikation:
Avin Ramaiya, Basudev Roy, Michael Bugiel and Erik Schäffer, Kinesin rotates unidirectionally and generates torque while walking on microtubules, PNAS, doi/10.1073/pnas.1706985114
Kontakt:
Prof. Dr. Erik Schäffer Universität Tübingen Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP) Telefon: +49 7071-29-78831 Erik.Schaeffer@uni-tuebingen.de